Viele Assessment Center messen, was bequem ist – und nicht unbedingt relevant.
Strukturiertes Denken, technisches Know-how, souveräner Auftritt – all das lässt sich in klassischen Auswahlverfahren erfassen. Was kaum valide geprüft wird: die Fähigkeit zur Selbstreflexion, zum Konfliktmanagement oder zur Stress-Resilienz im Projekt. Dabei sind es genau diese Kompetenzen, die in der Teamarbeit über Erfolg oder Scheitern entscheiden.
Vor allem bei technischen Rollen ist die Schieflage frappierend. Unternehmen setzen komplexe Coding-Tests ein, um Fähigkeiten auf der Tastatur zu überprüfen – aber kaum jemand muss zeigen, wie sie oder er unter Druck kommuniziert, Kritik verarbeitet oder mit Kolleg:innen konstruktiv streitet. Soft Skills werden beobachtet, aber selten wirklich gemessen.
Das Ergebnis? Fehlbesetzungen, die Kosten verursachen, Frust erzeugen und Teams destabilisieren.
Assessment Center (AC) könnten das ideale Instrument sein, um genau das zu verhindern. Betonung liegt auf könnten – denn häufig kleben sie an veralteten Standards. Wer moderne ACs gestalten will, braucht mehr als Methodenwissen. Es braucht den Mut, den Blick auf menschliche Qualitäten zu schärfen, die sich nicht in PowerPoint-Pitches und Excel-Cases verstecken.
Was heute zählt, ist ein holistisches Skillset. Also nicht nur: Kann diese Person [Hard Skill] ausführen?
Sondern: Kann sie im Team Verantwortung übernehmen – besonders, wenn es unbequem wird?
Zwischen Anforderungsprofil und Realität: Soft Skills sichtbar machen
Viele Assessment Center starten mit einem Anforderungsprofil. Doch oft bleibt dieses vage, wenn es um Soft Skills geht. Begriffe wie „Kommunikationsstärke“ oder „Teamfähigkeit“ sind in Stellenausschreibungen allgegenwärtig – aber kaum operationalisiert.
Der Fehler liegt im System: Soft Skills gelten als schwer messbar und werden deshalb oft ignoriert. Dabei entscheiden gerade sie über Erfolg in komplexen Rollen – besonders im Tech-Umfeld. Wer heute im Team bestehen will, muss zuhören, verhandeln, reflektieren können. Das ist eine Grundvoraussetzung.
Und auch die Praxis zeigt: Soft Skills lassen sich valide erfassen – wenn die Anforderungen präzise formuliert und in den Übungen mehrfach abgebildet werden. Gute ACs nutzen das Prinzip der multiplen Messung: Eine Kompetenz wie Konfliktfähigkeit wird in mehreren Formaten getestet – etwa im Rollenspiel, in einer Gruppendiskussion und durch eine Selbstreflexionsaufgabe (Haufe 2022).
Was stattdessen häufig geschieht: Intuition ersetzt Struktur. Beobachter:innen verlassen sich auf Sympathie, Ausstrahlung oder Präsenz. Das benachteiligt introvertierte, reflektierte Talente – und bevorzugt Kandidat:innen, die sich gut verkaufen, aber schlecht einfügen. Wir müssen das nun flächendeckend ändern.
Der Report „Future Skills“ von Stifterverband und McKinsey identifiziert Teamfähigkeit, kritisches Denken und digitale Selbstständigkeit als Schlüsselkompetenzen für die Arbeitswelt von morgen (Stifterverband/McKinsey 2023). Assessment Center, die das ernst nehmen, arbeiten mit strukturierten Beobachtungsbögen, realitätsnahen Konfliktszenarien und wiederholten Verhaltensproben. Das verbessert nicht nur die Passung und Cultural Fit – es senkt auch die Fluktuation von Mitarbeitenden.
Digitale Verfahren: Mehr Effizienz, weniger Verzerrung
Viele Unternehmen planen digital, aber rekrutieren analog. Assessment Center finden im Hotel statt, mit Flipcharts, Namensschildern und Catering. In Zeiten hybrider Teams wirkt das ziemlich aus der Zeit gefallen. Deswegen sagen wir:
Digitale ACs sind kein Kompromiss. Sie sind die logische Weiterentwicklung.
Digital kommt mit dem eigenen Set an Vorteilen: Solche ACs sind effizienter, skalierbar und zugänglicher. Sie lassen sich modular aufbauen, sind ortsunabhängig und entlasten Personalabteilungen deutlich. Gleichzeitig ermöglichen sie eine Standardisierung der Bewertung – was Verzerrung reduziert und Vergleichbarkeit erhöht (Bitkom 2023; Haufe 2022).
Was moderne Verfahren bieten:
- Rollenspiele per Videocall mit klaren Bewertungsrastern (Assessment Center simulieren erfolgsrelevante Situationen, die charakteristisch für die gegenwärtigen oder zukünftigen Arbeitsaufgaben sind)
- Teamaufgaben in virtuellen Boards (z. B. Miro, Mural)
- Selbstreflexion per asynchronem Video-Statement (Methode, bei der Kandidat:innen vorab Fragen zur eigenen Arbeitsweise beantworten und so strukturiert ihre Reflexions- und Kommunikationsfähigkeit zeigen)
- Game-based Assessments oder simulationsbasierte Aufgaben (Assessment Center basieren per Definition auf simulationsbasierten Aufgaben, indem sie erfolgsrelevante Situationen simulieren)
Auch Tools wie KI-basierte Sprachanalyse oder adaptive Testumgebungen lassen sich integrieren. Wichtig ist dabei: Nicht die Technik macht den Unterschied – sondern die Qualität der Diagnostik. Daher: Wer Soft Skills valide prüfen will, braucht keine physischen Räume. Sondern gut designte Aufgaben, strukturierte Beobachtung und geschulte Entscheidungsträger.
Zwischen Technik und Teamfähigkeit: Was heute wirklich zählt
Technische Rollen gelten als rational – aber sie sind hochgradig sozial. Entwickler:innen, Projektmanager:innen oder DevOps-Spezialist:innen arbeiten in komplexen, oft stressigen Konstellationen. Fachwissen reicht da nicht aus.
Und doch dominiert in vielen ACs die Prüfung harter Skills. Aufgaben, Logiktests, Präsentationen. Die Folge: Wer methodisch stark, aber kommunikationsschwach ist, wird eingestellt. Wer über soziale Intelligenz verfügt, aber nicht auffällig auftritt, fällt im Auswahlprozess oft durchs Raster.
Leise Stärken wie Empathie oder Konfliktgefühl bleiben oft unsichtbar – obwohl sie Teams stabilisieren.
Deswegen scheitern Fehlbesetzungen in der Technik oft an den falschen Gründen. Nicht an fehlendem Know-how. Sondern an mangelnder Selbstorganisation, Unfähigkeit zur Zusammenarbeit oder fehlender Konfliktsouveränität (EY 2024; Bitkom 2023).
Assessment Center, die Soft Skills ernst nehmen, setzen genau dort an:
- Wie reagiert jemand unter Druck?
- Wie geht er oder sie mit Widerstand um?
- Wird Verantwortung übernommen, wenn es brennt?
Solche Kompetenzen lassen sich prüfen – wenn man sie wirklich sehen will. In simulierten Konflikten. In Gruppendiskussionen mit Zielkonflikten. In Rollenspielen, die Stress, Rollenklarheit und Kommunikation erfordern.
Effizienz und Candidate Experience vereinen
Assessment Center gelten oft als aufwändig, teuer und schwer skalierbar. Und ja: Wer die Teilnehmer einen Tag lang von acht Beobachter:innen analysieren lässt, wird an Grenzen stoßen – personell, finanziell und organisatorisch. Aber Aufwand und Qualität stehen nicht im Widerspruch. Sie stehen in direkter Abhängigkeit zur klugen Konzeption.
Gut strukturierte Assessment Center sparen Geld, indem sie Fehlbesetzungen vermeiden. Und sie sparen Zeit, weil sie klare Signale liefern – schon im Vorfeld. Vorausgesetzt natürlich, sie sind gut geplant.
Drei Stellschrauben machen den Unterschied:
- Vorselektion automatisieren
Digitale Pre-Assessments oder situative Online-Tests helfen, die Zahl irrelevanter Interviews zu senken – ohne das Erlebnis der Kandidat:innen zu schmälern. - Übungen modularisieren
Nicht jedes Format braucht Beobachtung in Echtzeit. Viele Aufgaben lassen sich zeitversetzt auswerten – z. B. Selbstpräsentationen per Video oder Case-Lösungen mit Bewertungsskala. - Kandidat:innen ernst nehmen
Ein strukturiertes AC wirkt professionell – ein unstrukturiertes herablassend. Je klarer das Briefing, je nachvollziehbarer die Aufgaben, desto besser die Candidate Experience.
Denn: Der War for Talent ist auch ein War for Trust. Wer heute Top-Talente gewinnen will, muss zeigen, dass er Auswahlprozesse nicht nur für sich, sondern auch aus den Augen der Kandidat:innen denkt. Assessment Center dürfen und sollen herausfordernd sein. Aber sie müssen genauso respektvoll, nachvollziehbar und transparent sein. Auswahlprozesse sind kein Einbahnstraßen-Test – sie sind der erste Beweis dafür, wie das Unternehmen denkt, kommuniziert – und führt.
Fazit: Richtig messen heisst besser entscheiden
Viele Assessment Center laufen noch nach alten Mustern ab – die aus einer Zeit stammen, in der Fachwissen der wichtigste Erfolgsfaktor war. Heute ist das anders. In hybriden Teams, agilen Projekten und digitalisierten Arbeitswelten sind Soft Skills nicht Beiwerk, sondern das Fundament funktionierender Zusammenarbeit.
Wer Talente auswählt, entscheidet gleichzeitig über Teamdynamik, Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit.
Assessment Center sind dafür das richtige und auch ein wichtiges Werkzeug – wenn sie neu gedacht werden. Also klar strukturiert und digital gestützt. Vor allem aber: Wenn sie soziale Kompetenz nicht nur beobachten, sondern gezielt auf den Prüfstand stellen. Dadurch entstehen Auswahlprozesse, die Mehrwert stiften – für beide Seiten. Um so zu prüfen, wer passt und am Ende auch bleibt.
Ihre Assessment Center prüfen, ob jemand logisch denkt – aber nicht, ob er im Team funktioniert?
Dann verschenken Sie Potenzial – und riskieren Fehlbesetzungen, die anstrengend werden.
CareerTeam hilft Ihnen, Auswahlprozesse neu zu denken: effizient, validierbar und mit Fokus auf das, was morgen zählt.
Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, wo Ihre Diagnostik blinde Flecken hat. Wir freuen uns auf das Gespräch.
Quellenverzeichnis
- Bitkom (2023): Fachkräftemangel in der IT – Herausforderungen und Lösungsansätze
- Haufe (2022): Assessment Center und Probearbeiten – Aufwand, der sich lohnt
- EY (2024): Work Reimagined Survey – Building a Talent Advantage
- Stifterverband & McKinsey (2023): Future Skills – Strategien für die Arbeitswelt von morgen